Am 11. März 1955 brachte die Schauspielerin Eva-Maria Hagen in Ost-Berlin das Wunderkind Nina zur Welt. Die Ziehtochter des umstrittenen Wolf Biermann wusste bereits als pubertäre Göre, wohin sie wollte. Mit 17 ging sie nach Polen und sang erstmals in einer Band. Nach einer Ausbildung am Studio für Unterhaltungsmusik gründete sie ihre eigene Musikgruppe und wurde zum staatlich geprüften Schlagersternchen. Aufgrund einer öffentlichen Solidaritätsbekundung für den mittlerweile ausgebürgten Wolf Biermann wurde ihr Ego sicherheitshalber auf Eis gelegt. 1976 verließ sie dann die DDR und gründete in Berlin-West eine Band. Mit ihren unverblümten Texten brachte die Berliner Punk-Prinzessin auch prompt frischen Wind ins deutsche Rockgeschäft.

Fernseh-Auftritte machten sie schließlich zu dem chaotischen Medienliebling, den das Publikum entweder vergötterte oder hasste. Das reiche, bürgerliche Deutschland verlangte nach einer lokalen Subkultur-Queen, und Nina erfüllte alle Voraussetzungen. Mit Texten wie “Ich bin nicht deine Fickmaschine/Spritz, spritz, das ist ein Witz” gab sich die deutsche Nation selbstverständlich schockiert; wollte aber gleichzeitig noch mehr. Als Nina dann 1979 in einer Talkshow des österreichischen Fernsehens live demonstrierte, wie man vor laufenden Kameras onaniert, hatte sie den Höhepunkt ihrer Publicity-Aktionen erreicht. Das als Happening inszenierte Privatleben vermischte sie mit ihren außergewöhnlichen musikalischen Stimmeinsätzen zu einem existenzialistischen Gesamtkunstwerk. Von dort ist es schließlich nur noch ein kleiner Schritt zu fliegenden Untertassen, kosmischen Visionen und der Überzeugung: “In mir leben Bertold Brecht, Janis Joplin und Valeska Gert weiter”.

Nachdem Nina 1981 ihrer Tochter Cosma Shiva das Leben schenkte, wurde es ein Jahr lang ruhig um die Mutter. Doch neuer Look und neues Make-up rückten sie bei ihrem ersten Medien-Einsatz wieder ins öffentliche Interesse. Die mütterlich-künstlerisch-kosmische Energie empfängt die von Modeschöpfer Gaultier beratene Frau Hagen heute auf Ibiza. Dort hat sie sich jetzt auch zurückgezogen, denn nach einem Krach mit Mutter Eva Maria muss sie nun erst neue Energien sammeln.

Bisher demonstrierten Nina Hagen und Mutter Eva Maria bei jeder medienwirksamen Gelegenheit Innigkeit, Respekt und Liebe. Damit ist jetzt vorläufig Schluss, denn Mutter Eva Maria hat ein autobiografisches Buch geschrieben, in dem sie Briefe von Nina – u.a. Abschiedsbriefe an Liebhaber – veröffentlicht. Eva Maria Hagens Buchvorstellung auf der Leipziger Buchmesse viel also ins Wasser, denn Tochter Nina hat wegen der Veröffentlichung von Briefen und “Abbildungen aus dem Privat-und Intimleben” eine einstweilige Verfügung gegen die Verbreitung des Buches erwirkt. Das Buch mit dem Titel “Evas schöne neue Welt” kommt nun vorläufig nicht auf den Markt, erst müssen die negativen Schwingungen zwischen der undankbaren Mutter und der enttäuschten Tochter beseitigt werden.

Wer bisher geglaubt hat, dass die beiden gemeinsam mit Cosma Shiva einen Mikrokosmos des Glücks darstellen, der hat sich womöglich getäuscht. Hat sich Eva Maria nun etwa als Crawfordähnliche Rabenmutter und Nina als besonders schamhafte junge Dame geoutet?

ausbürgern: uit het staatsburgerschap ontzetten, nationaliteit afnemen.

die Göre: jonge griet.

die Schwingung: vibratie.

die einstweilige Verfügung: een provisioneel, voorlopig vonnis.

die Ziehtochter: pleegdochter.

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