In Berlin wurde im Postbahnhof am Ostbahnhof die Ausstellung ‘Körperwelten – Die Faszination des Echten’ eröffnet. In dem neo-gotischen Gebäude sind mehr als 200 menschliche Plastinate, darunter ganze Körper, einzelne Organe sowie transparente Körperscheiben zu sehen. Durch das Plastinationsverfahren wird bei toten Menschen und Tieren das Gewebswasser und Gewebefett durch einen Reaktionskunststoff wie zum Beispiel Silikonkautschuk ausgetauscht. Die plastinierten Präparate sind trocken, geruchsfrei, behalten ihr natürliches Oberflächenrelief und sind mit ihrem Zustand vor der Konservierung identisch.

Bei dem Ausstellungsmaterial handelt es sich also um wahre Leichen. Die toten Körper kommen von Spendern, die zu Lebzeiten verfügt haben, dass sie nach dem Tod plastiniert werden. Das Heidelberger Institut für Plastination (IfP) erhält aber auch ‘herrenlose Leichen’ von Behörden wie dem Sozialamt. Viele lebende Spender finden es großartig, ‘als Ausstellungsstück durch die Welt zu reisen’. Ein Spender meinte, durch Plastination könne man wenigstens noch ‘etwas aus seinem Körper machen’. Beim Heidelberger Institut für Plastination haben sich bis heute 3 300 Körperspender registrieren lassen – die Entscheidung kann jederzeit wieder rückgängig gemacht werden.

Das offizielle Ziel der Ausstellung mit den plastinierten Leichen ist die Vermittlung von Gesundheitsbewusstsein und Körperverständnis durch Schau- und Erlebnisanatomie anstelle von Schulanatomie. Als Veranstalter will das IfP mit dem Menschenmaterial ‘Edu-tainment’, eine Kombination von ‘Education’ und ‘Entertainment’ vermitteln. Unterhaltung ist ein wichtiger Aspekt der Leichenschau, denn Prof. Dr. med. Gunther von Hagen, der Erfinder der Plastination, verfährt mit den ihm überlassenen Leichen ganz nach Belieben – sie sind ihm Material für seine Inszenierungen. Gerne sucht von Hagen den Vergleich mit der Anatomie der Renaissance, der seine Präparate oft nachempfunden sind. Ein Reiterstandbild hatte bereits der französische Anatom Honoré Fragonard mithilfe einer Metalllegierung präpariert und von Hagens Mann, der seine Haut im Arm hält, ist einer anatomischen Zeichnung nachempfunden, die das Martyrium des geschundenen Bartholomäus aufnimmt. Verglichen mit damals stellen die Plastinat-Inszenierungen jedoch keine Revolutionierung für das anatomische Wissen oder die Aufklärung dar. Für die zahlreichen Besucher ist die Ausstellung wohl deshalb so interessant, weil sie umstritten und eine Attraktion ist und weil jeder Besucher an sich selbst testen kann, wo seine Ekelgrenze liegt – so wie bei fremden Jahrmarktkuriositäten. Die Anatomie scheint nicht erstrangig zu sein – hier zählen Emotionen.

Mit einem Requiem haben Gegner der Ausstellung in einer Berliner Kirche der namenlosen Menschen gedacht, aus denen die Plastinate der Schau geformt wurden. Gegen die Totenmesse haben wiederum die lebenden Körperspender demonstriert. Sie meinen: ‘Die Kirchen werfen uns in sensationslüsterner, überheblicher Weise unmoralisches Verhalten vor. Mit dieser Effekthascherei missbrauchen sie die Ausstellung zu ihrem Zweck.’

Die ertragreiche, umstrittene Leichenschau ist jedenfalls ein gewaltiger Publikumsmagnet.

die Aufklärung (hier): informatie.

die Ausstellung: tentoonstelling.

demonstrieren (hier): betogen.

die Effekthascherei: effectbejag.

der Ekel: walging.

ertragreich: winstgevend.

geruchsfrei: geurloos.

das Gewebswasser: weefselvocht, lymfe.

großartig: schitterend.

herrenlos: zonder eigenaar.

der Kautschuk: rubber.

nachempfinden: imiteren, namaken.

die Scheibe: schijfje.

der Spender: schenker.

überheblich: arrogant.

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