Jetzt, wo man in Deutschland gerade wieder dabei ist, offen stolz auf das so genannte ‘Deutsche’ zu sein, da kommt jemand und gibt mit seiner Behauptung, ein Teil der Deutschen sei faul, dem neu proklamierten Selbstbewusstsein einen gewaltigen Knacks.

Die Faulenzer-These wurde nicht von irgendeinem Dahergelaufenen, sondern von Bundeskanzler Gerhard Schröder (Sozialdemokratische Partei Deutschlands, SPD) höchstpersönlich aufgestellt. Mit seiner Äußerung ‘es gibt kein Recht auf Faulheit in dieser Gesellschaft’ sagte der Bundeskanzler, dass Menschen, die arbeiten können, aber nicht wollen, auch nicht mit Solidarität, d.h. finanzieller Hilfe rechnen dürften. Verständlicherweise hat diese für einen modernen Sozialisten unserer Zeit nicht wirklich ungewöhnliche Äußerung zu heftigen Diskussionen geführt, denn immerhin wurde von Schröder der Eindruck erweckt, dass viele Arbeitslose gar nicht an einer Arbeitsaufnahme interessiert seien.

Der Kanzler scheint – von einigen wenigen, PR-mäßig ausgeklügelten Besuchen abgesehen – vergessen zu haben, dass es noch immer ein Ostdeutschland gibt, in dem die Arbeitslosenquote von 17 Prozent doppelt so hoch ist wie in den alten Bundesländern. 1,8 Millionen arbeitslosen Ostdeutschen stehen 72 000 freie Stellen gegenüber. Mit anderen Worten: 25 Arbeitsuchende sollen sich um einen freien Arbeitsplatz streiten. Die Arbeitslosen als Drückeberger und Faulenzer zu beschimpfen, macht die Opfer zu Tätern und lenkt nur vom eigentlichen Problem, der auch nach dem Regierungswechsel weiterhin bestehenden, schlechten Möglichkeiten auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt ab. Die Industrie kann jenseits der Elbe nicht richtig Fuß fassen, und die bei den Wahlen vom Kanzler groß angekündigte Ost-Politik lässt offensichtlich deutlich zu Wünschen übrig. Es fehlt an Strategien, erkennbaren Konzepten und Erfolg.

Selbstverständlich werden auch im so genannten reichen Deutschland die Drückeberger unter den Arbeitslosen bestraft. Im Jahr 2000 wurde 45 936 Arbeitslosen der Geldhahn abgedreht, weil sie eine angebotene Stellung nicht angenommen hatten. Fast 17 000 wurde die Arbeitslosenunterstützung ganz gestrichen.

In allen Bereichen, wo Unterstützung oder Vergütung angeboten wird, kommt es zu Missbrauch – auch in der Politik. Bundeskanzler Schröder hat mit seiner Faulenzer-Aussage bei der arbeitenden Bevölkerung die weitverbreitete falsche These, dass die Bekämpfung des Missbrauchs, das Problem der Arbeitslosigkeit löse, noch gestützt. Darüber, dass Menschen aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit ausgegrenzt sind und Scham empfinden, verliert der Sozialist Schröder kein Wort.

die Arbeitslosenquote: werkloosheidspercentage.

ausgrenzen: uitsluiten.

ausklügeln: spitsvondig uitknobbelen.

der Drückeberger: lijntrekker, luiaard.

faul (hier): lui.

der Faulenzer: luiaard.

der Knacks: knak.

die Scham: schaamte.

die Stellung (hier): betrekking.

die Unterstützung: steun, uitkering.

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