Wer interessiert sich in Deutschland schon für aktuelle Probleme, wenn es doch viel einfacher ist, über Belanglosigkeiten zu debattieren. In diesem Zusammenhang wird mit Vorliebe in der jüngeren Vergangenheit gewühlt. Dabei sind die Jugendsünden von Prominenten für die politische Opposition und Klatschpresse ein besonders beliebtes Thema. Nachdem das ganze Land erst monatelang über die so genannte kriminelle Vergangenheit von Außenminister Joschka Fischer und Umweltminister Jürgen Trittin diskutierte, fühlt sich die Nation jetzt betroffen, weil Ulrich Wickert vor 33 Jahren eine Tasse Haschischtee getrunken hat.

Wickert ist einer von Deutschlands beliebtesten Fernseh-Gesichtern. Wenn der coole 58-Jährige mit seinem jugendlichen Charme die ‘Tagesthemen’ moderiert, dann tut er das mit trockenem Humor, etwas Ironie und als Deutschlands netter Moralapostel von nebenan. Der langjährige Auslandskorrespondent war besonders gerne im Nachbarland Frankreich, wo er sich von Esskultur und Savoir-vivre berauschen ließ. Dass der Moderator und Autor des ‘Buchs der Tugenden’ ein Genießer ist, war der Fernsehnation längst bekannt. Als er aber in der Illustrierten ‘Max’ unter der Überschrift ‘Ich schwebte über dem Boden’ beschrieb, wie er 1968 mit Freunden Haschischtee getrunken habe, titelte die den so genannten deutschen Stolz monopolistisch verwaltende ‘Bild’-Zeitung sogleich: ‘Herr Wickert, sind Sie stolz auf Ihren Drogenrausch?’. Kirchenvertreter im Rundfunkrat – der eigentlich die Einhaltung der Programmgrundsätze überwachen soll – zeigten sich in dem Käseblatt empört über des Moderators frei heraus erzählten Jugendschwank. Nicht nur die Kirche, auch die konservative CDU warf Wickert vor, er kokettiere mit seinem Haschischkonsum. Damit gebe er ein schlechtes Beispiel und zerstöre ‘die mühselige Präventionsarbeit’. Dazu meinte Thomas Bader, der Vorsitzende des Fachverbandes Drogen und Rauschmittel, man solle in diesem Fall doch bitte die Kirche im Dorf lassen. ‘Wir haben wirklich andere Probleme’. ‘Wegen dieser Geschichte werden nicht mehr und nicht weniger Menschen Haschisch nehmen als vorher’, meinte er. Der Drogenexperte Professor Michael Krausz von der Hamburger Universitätsklinik begrüßte Wickerts ehrliche Darstellung: ‘Ich finde es eher nützlich, wenn eine bekannte Persönlichkeit sich ehrlich zu einem unverkrampften Umgang mit Haschisch bekennt’. Ein Mann wie Wickert, der einmal Haschisch genommen und dann wieder aufgehört habe, sei ein gutes Beispiel für junge Menschen.

In dem ‘Max’-Artikel erzählt Ulrich Wickert, wie er, der als junger Mann nicht rauchte, das Haschisch in den Tee bröselte. ‘Mir war, als sei aus mir ein zweiter geworden, der ein anderer Ulli war’. Am nächsten Tag habe er jedoch beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) ein missglücktes Vorstellungsgespräch gehabt. Auf die Frage, warum er gerade jetzt den Drogen-Konsum eingestanden habe, sagte Wickert: ‘Ganz einfach, weil man mich gefragt hat. Ich finde da überhaupt nichts dabei.’ Der ‘Tagesthemen’-Sprecher vertrat in dem Interview die Meinung, die geregelte Abgabe von weichen Drogen sollte freigegeben werden.

Einer Reihe von Fernsehzuschauern drängt sich nun die Frage auf, ob es moralisch zu verantworten ist, weiterhin zur Fangemeinde des ‘Tagesthemen’-Moderators zu gehören. In Deutschland kann man vieles verzeihen, aber keine Tasse Haschischtee! Wickert als glaubhaftes TV-Gewissen zu rehabilitieren, wäre ganz einfach, er bräuchte nur in einer Präventionskampagne gegen das Rauchen aufzutreten.

der Boden: grond, vloer.

bröseln: kruimelen.

empört: verontwaardigd.

der Grundsatz: principe.

das Käseblatt: sensatieblad.

die Kirche im Dorf lassen: de kerk in het midden laten, niet overdrijven.

der Rausch: roes, bedwelming.

verwalten: beheren.

von nebenan: van hiernaast, de buren.

das Vorstellungsgespräch: sollicitatiegesprek.

weich (hier): soft (drugs).

Reageren op dit artikel kan u door een e-mail te sturen naar lezersbrieven@knack.be. Uw reactie wordt dan mogelijk meegenomen in het volgende nummer.

Partner Content