Wo liegt sie nun, die Wiege Europas? In Griechenland? Oder vielleicht in der Türkei?

Der griechische Dichter Homer erzählte ausführlich vom Kampf um die Stadt Troja. Seither sind die Helden dieses Krieges unerreichbare Vorbilder und mancher, der was auf sich hielt, sorgte dafür, dass seine Vorfahren unter Trojas berühmten Kämpfern zu finden waren. So führte zum Beispiel Julius Caesar seinen Stammbaum auf Aeneas zurück, den Sohn des Anchises und der Aphrodite, der auf Seiten der Trojaner kämpfte. Nach der Schlacht zog Aeneas auf Geheiß seiner Mutter fort, um sich eine neue Heimat zu suchen: Italien. Aeneas soll aber nicht der einzige mit ritterlichen Tugenden versehene ‘Asylant’ aus Troja gewesen sein. Bereits in der Schedelschen Weltchronik von 1453 ist davon die Rede, dass Turcus und Franco, also Türken und Franken, Nachfolger von vor den Griechen geflohenen Enkeln des trojanischen Königs Priamus waren.

Ist heute von Troja die Rede, darf sich nicht mehr nur auf Homers Erzählungen und Schliemanns Ausgrabungen bezogen werden, sondern müssen auch die von hethitischen Juristen überlieferten Texte in Betracht gezogen werden. Aus den Schriften soll hervorgehen, dass Troja, oder Ilios oder die von den Hethitern auch Wilusa genannte Stadt, damals zum hethitischen Reich gehörte. Stützt man sich auf diese neuen Forschungsergebnisse, dann muss Troja in einen kleinasiatischen Kontext gerückt werden.

Im politischen Tagesgeschäft sind Griechen und Türken nicht immer die besten Freunde und deshalb ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass die neuen Erkenntnisse der Geschichtsforschung in Griechenland kein besonderes Gefallen finden. Und so ist unter den 800 Exponaten der durch Deutschland ziehenden Ausstellung ‘Troia – Traum und Wirklichkeit’ auch kein einziges Ausstellungsstück aus Griechenland zu finden. Die griechischen Museen hatten eine Zusammenarbeit mit der Troja-Ausstellung einfach abgelehnt.

Die zurzeit in Braunschweig und später in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu sehende Ausstellung wurde von einem Turcu und einem Franco, nämlich vom Staatspräsidenten der Republik Türkei Ahmet Necdet Sezer und Bundespräsidenten Johannes Rau, feierlich eröffnet. Während kurdische Demonstranten vor den Ausstellungsräumen gegen die wirksame Zusammenarbeit der beiden Länder protestierten, freuten sich die beiden Staatsmänner über die wissenschaftlich nachgewiesene gemeinsame Geschichte und das nun scheinbar nicht mehr aufzuhaltende Zusammenwachsen von Europa und Kleinasien.

sich beziehen: zich beroepen.

der Enkel: kleinkind.

die Enkel: nakomelingen.

erstaunlich: verbazingwekkend.

das Geheiß: bevel.

auf sich halten: zichzelf respecteren.

rücken (hier): plaatsen.

seither: sinds.

unerreichbar: ongenaakbaar.

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