‘Gerichtsverhandlungen finden in der Öffentlichkeit statt, nicht für die Öffentlichkeit’, so begründete das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sein Urteil, mit dem das ausnahmslose Verbot von Bild- und Tonaufnahmen in deutschen Gerichtssälen bestätigt wurde.

Seit 1964 gilt in Prozessen absolutes Filmverbot. Das ist dem deutschen Nachrichtensender N-tv schon lange ein Dorn im Auge. Der Fernsehsender versucht schon seit längerem, mit der Kamera im Gerichtssaal dabei zu sein. Im Prozess um die Kruzifixe in bayerischen Klassenzimmern und beim Politbüro-Prozess wurden N-tv die Gerichtstüren jedoch vor der Linse zugeschlagen. Das fand der auf Nachrichten spezialisierte Fernsehsender überhaupt nicht nett, reichte in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde ein und forderte die Zulassung von Fernsehübertragungen in laufenden Prozessen. N-tv sieht sich als Kämpfer für das Recht auf Informationsfreiheit, nicht nur für sich selbst, sondern für alle Fernseh- und Hörfunksender, private wie öffentlich-rechtliche.

Befürworter des Gerichts-TV beteuerten immer wieder, nicht über Prozesse berichten zu wollen, in denen es um Familienangelegenheiten geht oder in die Kinder und Jugendliche verwickelt sind. Genau davor hatten Kritiker jedoch Angst. Sie befürchteten, die Sender seien nur an spektakulären Prozessen interessiert. Auch der Deutsche Richterbund glaubte, dass es weniger um seriöse Berichterstattung gehe als um Aufnahmen aus vermeintlichen Sensationsprozessen. So hatte zum Beispiel der Fernsehsender N 24 aus einem Gericht in Florida live übertragen, als Boris Becker im Scheidungsfalls Becker gegen Becker vor einem Familienrichter auftreten musste.

Indem das Verbot von Fernsehaufnahmen in Gerichtssälen weiterhin bestehen bleibt, haben sich die Karlsruher Richter für das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit entschieden. In Zeiten globaler Mediatisierung und umsichgreifender Verbigbrotherung mag dieses Urteil überraschen, aber die Richter haben sehr wohl erkannt, dass das Fernsehen durch seinen Einfluss die ungestörte Rechts- und Wahrheitsfindung beeinträchtigen kann. Während des zur Fernsehserie ausgearteten ‘O.J. Simpson-Prozesses’ wurden Angeklagte, Anwälte, Zeugen und Richter zu wahren Protagonisten. Wer auf der Bühne oder vor der Kamera steht, will gefallen, gut sein oder geliebt werden und passt sich den Erwartungen an. Das ging im Fall Simpson so weit, dass verschiedene Protagonisten sich verpflichtet sahen, ihre Kleidungsgewohnheiten dem Geschmack des Fernsehpublikums anzupassen.

Die Rechtssprechung bedarf sicherlich noch weiterer Transparenz, die hätte es aber in Zeiten, wo Einschaltquoten über alles entscheiden, auch nicht durch Fernsehkameras erhalten.

der Anwalt: advocaat.

ausarten: ontaarden.

ausnahmslos: zonder uitzondering.

begründen: motiveren.

die Berichterstattung: verslaggeving.

beteuern: bezweren.

einreichen: indienen.

der Geschmack: smaak.

der Hörfunk: radio-omroep.

die Öffentlichkeit: openbaarheid, publiek.

die Verfassung: grondwet.

vermeintlich: vermeend.

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