Als das gemütliche Städtchen Bonn noch Hauptstadt der Bundesrepublik war, schien die Infrastruktur deutscher Macht noch überschaubar. Doch als die Mauer fiel, die DDR schnell zur BRD umfunktioniert und Berlin neue Hauptstadt des nun größten EU-Landes wurde, kam bei deutschen Politikern plötzlich das Gefühl nationaler Grandeur auf. Mit dem Umzug nach Berlin sahen sie die einzigartige Möglichkeit, ihrem Wirken mehr Glanz zu verleihen. Politik und Macht setzten sich architektonische Denkmäler.

Eine der neuen Berliner Burgen, das wegen seiner gewaltigen Ausmaße stark umstrittene Bundeskanzleramt, gerät immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik. Der Berliner Galerist Georg Nothelfer sammelt Unterschriften, damit das vor Gerhard Schröders Amt hingestellte Kunstwerk des Basken Eduardo Chillida korrekt platziert wird. Für den Berliner Galeristen des Künstlers steht die 90 Tonnen schwere und sechs Meter hohe Skulptur ‘Berlin’ viel zu dicht an die Eingangstür des kolossalen Gebäudes gequetscht. Die acht symbolisch aufeinander zustrebenden Arme der Skulptur seien von Portalsäulen und Fahnenmasten optisch eingepfercht. Dem ganzen wird noch durch das weiße Sonnensegel eine Krone aufgesetzt. Damit das Werk atmen und man es besser sehen kann, möchte Nothelfer es ein Ende vom Gebäude und ungefähr zehn Meter wegrücken. So hätte sich auch Chillida den Platz der Skulptur vorgestellt, doch der 76-jährige Künstler ist seit zwei Jahren nicht mehr in Berlin gewesen und weiß nicht, wo und wie sein Werk steht.

Kanzler Schröder muss sich in seinem neuen Zuhause aber nicht nur Kritik von der Kunst, sondern auch von der Kirche gefallen lassen. Weil er bei der Einweihung seines Amtes auf den kirchlichen Segen verzichtet hatte, schrieb ihm der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU einen Protestbrief. Schröder antwortete, er wolle auch in Zukunft bei der Einweihung von Regierungsgebäuden auf den kirchlichen Segen verzichten, denn Fürbittgebete könnten als Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralität des Staates angesehen werden.

Bei der Einweihung der Apostolischen Nuntiatur in Berlin sah das selbstverständlich ganz anders aus. Nach Auffassung des Nuntius kann die Botschaft des Vatikans ‘bestimmt nicht mit dem neuen Bundeskanzleramt konkurrieren’. Aber das zurückhaltende und schlichte Gebäude, in dessen Garten eine Skulptur des italienischen Bildhauers Cecco Bonanotte steht, passe sich der benachbarten Johannes-Basilika, der größten katholischen Kirche Berlins, an, meinte der Nuntius.

die Burg: burcht.

das Denkmal: monument.

einpferchen: opeenpakken, samendringen.

quetschen: drukken, knellen.

stolz: trots.

umfunktionieren: veranderen.

überschaubar: overzienbaar.

der Verstoß: overtreding.

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