Deutschland im Jahre 2002 – es ist Wahlkampf: Erst kommt Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, dann ein schlapper Wahlkampf, viele Wahlversprechen, die Flut, der Stoiber-Sympathieverlust, der äußerst knappe Wahlsieg Schröders, statt der versprochenen Steuersenkung plötzlich eine Steuererhöhung und schließlich noch Elmar Brandts “Steuersong”. Mit einem Wort, es war für Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ein Schreckensjahr. Der so genannte Medienkanzler wurde zur Witzfigur. Bevor Schröder einen Schlussstrich unter das Jahr 2002 machen konnte, musste der Kanzler eine letzte Demütigung hinnehmen: In der Internetaktion “letztes Hemd” wurde Gerhard Schröder erneut zum Gespött der deutschen SteuerzahlerInnen.

Angefangen hatte alles, als sich Christian Stein im Chat mit weiteren Politikfrustrierten zur Lage der Nation austauschte. Als dann ein Chatter meinte: “Wenn das so weitergeht, nehmen die uns wirklich noch… ja, das letzte Hemd, wie es so schön heißt”, da fiel bei Christian Stein der Groschen. Er verfasste eine lustige Mail an den Bundeskanzler. Den Entwurf der E-Post schickte er erst an Freunde und Bekannte und war gespannt, wie sie wohl darauf reagieren würden. Er vermutete, er würde Anhänger finden, die mit ihm bereit sind, ihr “letztes Hemd” samt einem Weihnachtsgruß an Gerhard Schröder zu verschicken. Die Reaktion war einstimmig: Er will unser letztes Hemd. Dann schicken wir es ihm doch! Aus der E-Post einiger Freunde wurde sehr schnell ein E-Kettenbrief, der bei den Medien auf großes Interesse stieß.

Nachdem man im Bundeskanzleramt erst nichts zu der Aktion sagen wollte, kam man nun nicht mehr umhin zu kommentieren, weshalb die Poststelle des Bundeskanzleramts seit einigen Wochen völlig überlastet ist. Mittlerweile seien dort 40 000 Hemden für Gerhard Schröder abgegeben worden. Wie jetzt bekannt wurde, wurden die Hemden der karitativen Einrichtung “Bring’s und Kauf” aus Bielefeld gegeben. Die Arbeitslosenaktion hatte von der Hemdenflut im Kanzleramt gehört und man überlegte dort lange, was braucht der Kanzler so viele Hemden? Schließlich wurde der Bielefelder SPD-Politiker Rainer Wend gebeten, den Kontakt zum Kanzleramt herzustellen und die Kanzlerhemden nach Bielefeld zu schaffen. “Bring’s und Kauf” ist von des Kanzlers neuen Kleidern wahrlich angetan. Es seien auch Boss-Hemden dabei.

Am 23. Dezember war Christian Stein mit anderen Hemd-AktivistInnen nach Berlin gereist, um dem Kanzler höchstpersönlich die milden Gaben zu überbringen. Doch Gerhard Schröder war nicht zu Hause und so durften die gesammelten “letzten Hemden” unter Polizeiaufsicht dem Chef von Schröders Security übergeben werden. Das hat dem unparteiischen Christian Stein überhaupt nicht gefallen und deshalb will er seine Aktion auch im neuen Jahr fortsetzen und ruft deutsche Bürger dazu auf, ihr letztes Hemd an Gerhard Schröder, Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1 in D-10557 Berlin zu schicken. Als Begleitschreiben schlägt er folgenden Text vor: “Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Gerhard, man lernt doch schon als kleines Kind, dass man sich für seine Geschenke bedanken muss, und wenn man keine haben mag, sollte man das zumindest persönlich sagen…

Also übersende ich Dir, zur Erfüllung Deines größten Wunsches, mein letztes Hemd.

Das macht jetzt alle Steuererhöhungen überflüssig, da ich eh nix mehr habe…

Liebe Grüße, dein Untertan. “

Mehr Informationen, auch zu der Ende Januar geplanten, nächsten Hemdübergabe, sind auf Christian Steins Webseite www.aktionletzteshemd.de zu finden. das Begleitschreiben: begeleidende brief.

die Demütigung: vernedering.

bei ihm ist der Groschen gefallen: zijn frank is gevallen.

das letzte Hemd nehmen: alles afpakken.

knapp: krap. mögen: houden van.

die Poststelle: postkamer.

einen Schlussstrich machen: een streep onder iets zetten. die Steuern: belastingen.

vorschlagen: voorstellen.

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