1989, kurz vor dem Mauerfall, trafen sich auf dem Westberliner Kurfürstendamm DJ Dr. Motte und 150 Freunde elektronischer Musik, um nach dem Vorbild englischer Open-Air-Raves das Freilufttanzen zu kultivieren. Wer glaubt, dass es damals nur um Spaß ging, hat sich geirrt. Mit deutscher Gründlich- und Ernsthaftigkeit machten die Berliner Raver-Aktivisten aus einer Straßenfete eine House-Musik-Demonstration für Toleranz, Respekt und Verständigung zwischen den Nationen. Sag mir welche Musik Du hörst, und ich sage Dir, was für ein Mensch Du bist! Ganz klar: Raver sind sonnige Gemüter!

Eine unter der Ära Kohl im politischen Bierzelt aufgewachsene Jugend freundete sich im Nu mit Dr. Mottes Fun-Konzept des pflegeleichten Polit-Minimalengagements an. Über eine Million Raver strömen mittlerweile nach Berlin, um sich für einen Tag reichlich mit den Schlagwörtern Friede, Liebe, Respekt und Toleranz einzudecken. Aus dem bunten Straßenumzug ist eine weltweite Visitenkarte für Lebensfreude, Toleranz und Vielfalt in Berlin geworden. So preisen die Macher der Parade ihr Produkt. Sie werben damit, dass die Loveparade ganz eindeutig ein unverzichtbarer Imageträger und Wirtschaftsfaktor in und für Berlin geworden ist. Da kommen olympische Gefühle auf, wenn erklärt wird, dass Millionen von jungen Menschen sich Jahr für Jahr in Berlin das gute Gefühl holen ?dabei gewesen zu sein?. Und wer die Parade nicht in sein Taschengeldbudget eingeplant hat, der kann ja immer noch mit Powerdrink und Salzstangen vor der Glotze raven, schließlich ist die Liebesparade auch ein Medienereignis.

Wenn sich am 13. Juli wieder Hunderttausende Raver als ein einziger schwitzender Körper durch Berlin stoßen, geschieht dies unter dem Motto ?Access Peace?. Damit die Freunde der elektronischen Volksmusik auch verstehen, warum sie die Strapazen auf sich nehmen, erklären ihnen die Organisatoren: ?Access Peace heißt: Ihr habt den ‘Zugang’ zum Frieden, und ihr könnt mit eurer Teilnahme an der Loveparade demonstrieren, wie wichtig das ist. ? Man muss dieses Statement lesen und lesen, darüber grübeln und diskutieren, um zu dem Schluss zu kommen, dass es sich hier um höhere Philosophie handelt. n

das Bierzelt: biertent.

sich eindecken: een voorraad aanleggen.

eindeutig: duidelijk.

ernsthaftig: ernstig.

die Glotze: televisie.

grübeln: piekeren.

im Nu: in een oogwenk.

pflegeleicht: gemakkelijk.

schwitzen: zweten.

das Taschengeld: zakgeld.

die Vielfalt: grote verscheidenheid.

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