Das Thema “Holocaust” ist in Deutschland noch immer ein besonders heikles Thema.

Vor kurzem gerieten Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, und der Schriftsteller Martin Walser einander in die Haare. Anlaß war Walsers Friedenspreisrede im Oktober. Bubis kritisierte, daß Walser von einer “Instrumentalisierung von Auschwitz” gesprochen und damit nach seiner Einschätzung für einen “Schlußstrich” unter die Debatte über den Holocaust plädiert hat. Bubis schlug in ganz Deutschland Alarm und bezeichnete Walser als einen “geistigen Brandstifter”.

Der Streit zwischen den beiden wurde hauptsächlich in den Medien ausgetragen und veranlaßte Politiker und Schriftsteller zu Stellungnahmen. Da sich die Gemüter nicht beruhigten, wurde auf Vermittlung der “Frankfurter Allgemeine Zeitung” ein Treffen zwischen Walser und Bubis veranstaltet.

Bubis erklärte, er habe Walser zu keinem Zeitpunkt mitDeckert und Frey, einem NPD-Funktionär und dem Herausgeber der “Nationalzeitung”, gleichgesetzt. Er sehe aber nach wie vor die Gefahr, daß Walsers Ausführungen in rechtsextremen Kreisen als Bestätigung der dort vertretenen These angesehen würden, mit dem Gedenken an die Opfer des Dritten Reiches müsse endlich Schluß sein.

Walser sagte hingegen, in den rund 1000 Briefen, die er nach seiner Rede in der Paulskirche erhalten habe, fühle er sich überwiegend richtig verstanden. Er habe nie für einen Schlußstrich plädiert, aber: “Es gibt einen eingeschlafenen Routinesprachgebrauch für dieses schwierigste Problem unserer Geschichte.” Der Schriftsteller hatte dabei die innerdeutschen Polemiken von Intellektuellen vor Augen, die das Stichwort “Auschwitz” als Drohgebärde in den verschiedensten Auseinandersetzungen mißbrauchen. Darüberhinaus sprach er davon, daß man die Bundesrepublik behandele “wie einen Straftäter auf Bewährung, der andauernd seine Resozialisierung unter Beweis stellen muß”.

Der Ausgang des Treffens führte zu einer Versöhnung, d.h. daß Bubis den Vorwurf, Walser sei ein “geistiger Brandstifter” zurücknahm. Meinungsverschiedenheiten darüber, wie Walsers Rede verstanden wurde oder zu verstehen sei, blieben aber bestehen.

Der Schriftsteller beharrte darauf, daß seine Rede nicht mißverständlich gewesen sei.

Die Rede Walsers ist vom Institut für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen zur “Rede des Jahres 1998” gewählt worden, “weil sie in der Tradition der großen humanistischen Beredsamkeit in Deutschland für die ideologisch verfestigten Meinungsschranken unserer Mediengesellschaft die Augen öffnet”.

Mit Walsers Rede ist das Thema “Holocaust” in der deutschen Öffentlichkeit in ein völlig neues Licht gerückt worden.

beredsam : welbespraakt.

mißverständlich : aanleiding gevend tot misverstand.

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