Er ist 56 Jahre alt, und fast alle Frauen sind verrückt nach ihm. Es handelt sich hier nicht um einen Filmschauspieler oder gar einen Politiker, nein, das Objekt der Begierde ist schlicht und einfach der Nylonstrumpf.

Nach Kriegsende brachten amerikanische GIs die hauchdünnen, hochelastischen, anschmiegsamen und verführerischen Strümpfe nach Deutschland. Auf dem Schwarzmarkt wurden sie damals sofort zu ebenso beliebten und wertvollen Tauschobjekten wie Zigaretten oder Kaugummi.

Vor dem Krieg trugen die reicheren Damen noch Strümpfe aus Seide, und weniger betuchte Frauen mußten zu handgestrickten, meist kratzigen Wollstrümpfen greifen. Sie hatten beide dieselben Nachteile : schlechte Paßform und schnelles Ausbeulen. Bei den Nylonstrümpfen war das ganz anders, sie saßen perfekt, rutschten nicht und schlugen keine häßlichen Falten. Es war daher kein Wunder, daß sich die Frauen in Deutschland um die Strümpfe rissen, denn zu Kriegszeiten hatten viele von ihnen die modische Strumpfnaht noch mit dem Augenbrauenstift auf die nackte Haut gemalt.

Nylon, der synthetische Faserstoff aus Erdöl, Kalk und Kohle mit der chemischen Formel HOOC-(CH2)4-CO-(NH-(CH2)6-NH-CO- (CH2)4-CO)n-NH-(CH2)6-NH2 wurde vor 60 Jahren in den Labors der Firma Du Pont de Nemours entdeckt und vorwiegend für medizinische Zwecke verwendet. Sehr schnell wurde aber festgestellt, daß die seidenähnliche und äußerst solide Faser der ideale Konkurrent für den teuren und empfindlichen Seidenstrumpf war. Als Du Pont erfuhr, daß Paul Schlack bei der IG-Farben in Berlin das chemisch recht ähnliche Perlon entwickelt hatte, wurde 1939 zwischen beiden Parteien ein Vertrag abgeschlossen. Es folgten ein vollständiger Patentaustausch und eine Aufteilung der Absatzgebiete. In den USA wurden die Nylonstrümpfe später nur noch als Nylons bekannt erstmals 1940 auf der Weltausstellung in San Francisco der breiten Öffentlichkeit vorgestellt, und erst in den sechziger Jahren verdrängte die Strumpfhose die bis dahin üblichen Strümpfe mit Strumpfhaltern.

Von dem aufregend schimmernden Gespinst werden heute jährlich sage und schreibe 300 Millionen Paar über deutsche Ladentische geschoben.

ähnlich : gelijkaardig, anschmiegsam : aanhalig, betucht : vermogend, handgestrickt : met de hand gebreid, hauchdünn : vliesdun, sich um etwas reißen : vechten om iets, rutschen : glijden, der Strumpf : kous, die Strumpfhose : panty, verdrängen : verdringen, verrückt nach jemand sein : gek zijn op iemand.

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