Die deutsche Schlagergemeinde trauert: Die ZDF-Hitparade hat den Geist aufgegeben.

1969 moderierte der ehemalige Autoverkäufer Dieter Thomas Heck zum ersten Mal die Schlagerparade, in der nur deutsch und live gesungen wurde. In dieser politisch turbulenten Zeit brachte Heck ein Stück heile Welt in deutsche Wohnzimmer. Die Studiokulisse war modern, mit vielen Scheinwerfern, das Publikum saß auf Stahlrohrmobiliar und die Schlagersänger trugen modisch chice Kleider. Moderator Heck bewies der in ihren Wertvorstellungen etwas aufgerüttelten Nation, dass lange Haare auch gepflegt und ihre Träger angepasst sein können. Alles sollte harmonisch sein. Jung und alt saßen nebeneinander und lauschten den Texten deutscher Schlager. Dabei kam Freude auf und es wurde heftig mitgeklatscht. Dass die Sängerinnen und Sänger Roy, Peggy, Mary, Joy und Ireen hießen, störte kaum jemand, im Gegenteil, damit wurde dem deutschen Schlagerzirkus der Anschein von Internationalität verliehen.

Das moderne Heile-Welt-Konzept von Dieter Thomas Heck war ein Erfolg. Viele waren gerne bereit, sich Hecks Diktat zu unterwerfen und sich dem deutschen Fernsehpublikum mit Liedern über Herz, Blumen, Sonne, Wehmut, Feuer, Liebe, Friede und Hoffnung zu präsentieren. Ein Auftritt in der ZDF-Hitparade machte sich bezahlt, denn am Tag nach der Sendung verkauften die Interpreten bis zu 50 000 Platten und wurden sie oftmals als neuer aufsteigender Stern am deutschen Schlagerhimmel gehandelt. Lieder wie ‘Mit 17 hat man noch Träume’ von Peggy March, ‘Er gehört zu mir’ und ‘Ich bin wie du’ von Marianne Rosenberg, ‘Joana’, ‘Dich zu lieben’, ‘Santa Maria’ und ‘Sieben Fässer Wein’ von Roland Kaiser, ‘Ein bisschen Frieden’ von Nicole und ‘Ich hab die Liebe geseh’n’ von Vicky Leandros, gehören zu den ganz großen ZDF-Hitparaden-Klassikern und haben absoluten Kultstatus erreicht. Mit der deutsch singenden Griechin Vicky Leandros hatte Heck sich jedoch verworfen als sich Vicky in ihrem Lied ‘Verlorenes Paradies’ als singende politische Aktivistin outete und von Beton, toten Fischen und sterbenden Wäldern sang. Für Heck war die bis dahin getreue Vicky eine Heuchlerin, denn ‘man könne in drei Minuten kein Weltproblem behandeln und dafür auch noch abkassieren wollen’.

In den 80er Jahren machte die Neue Deutsche Welle dem Schnellsprecher Heck mit ihrem Nonsens schwer zu schaffen. Heck kam aufgrund des großen Publikumserfolgs nicht umhin, auch Nena und Hubert Kah in seinem Berliner Fernsehstudio Einlass zu gewähren. Kurz darauf war Schluss – Heck ging und andere Moderatoren drückten sich bei der Hitparade erfolglos die Klinke in die Hand. Es half alles nichts, die ZDF-Hitparade befand sich auf dem absteigenden Ast – sie war den deutschen Schlagerfans zu fortschrittlich. Eine andere Branche der Unterhaltungsindustrie hatte dies sofort erkannt, und Sendungen wie die ‘Hitparade der Volksmusik’ wurden aus dem Boden gestampft.

Hier ist die Welt immer noch in Ordnung und die Gefahr, dass bayerische Alpenjodler über BSE singen, ist äußerst gering. Nach 367 Sendungen hat die ZDF-Hitparade dem in Deutschland gewaltigen Markt der Volksmusik nun offiziell Platz gemacht.

abkassieren: innen.

auf dem absteigenden Ast: bergaf.

aufrütteln: wakker schudden.

ZDF (Zweites Deutsches Fernsehen): publiekrechtelijke televisie-omroep.

eine heile Welt: een wereld waar alles in orde is.

jemandem die Klinke in die Hand drücken: iemand buitengooien.

Reageren op dit artikel kan u door een e-mail te sturen naar lezersbrieven@knack.be. Uw reactie wordt dan mogelijk meegenomen in het volgende nummer.

Partner Content